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Freitag, 16. Oktober 2020

[(Gast)Rezension] Der dunkle Bote - Alex Beer



*Rezension*

Der dunkle Bote von Alex Beer

Umfang: 400 SeitenGenre: Kriminalroman

Verlag: Limes VerlagPreis: 20,00 €



Wien im November 1920: Ein unerwarteter Kälteeinbruch hat die Ernten vernichtet, jeder dritte Mann ist arbeitslos, und das organisierte Verbrechen hat Hochkonjunktur. Doch der Mordfall, der jetzt die Stadt erschüttert, übertrifft alles bislang Dagewesene: Ein Toter wird bizarr zugerichtet und von einer Eisschicht bedeckt aufgefunden. Kurz darauf taucht ein Bekennerschreiben auf. 

Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter ermitteln – und das ist nicht das einzige Rätsel, das sie zu lösen haben, denn noch haben sie Xaver Koch nicht aufgespürt, den Mann, der Emmerichs Lebensgefährtin entführt hat und der sich als gefährlicher Gegner entpuppt ...

Jürgens Meinung:

Ich gebe ja zu, ein Cover-Junkie zu sein. Gefällt mir ein Cover, bin ich schnell offen für ein Buch. Gefällt mir das Cover nicht oder gehört es deutlich zu den aktuellen Trends (z.B. Frauenrücken vor Gebäudekulisse), hat es der Klappentext noch schwerer, mich zu überzeugen. Die Hardcover-Ausgabe, die ich gelesen habe, hüllt sich in reduziertes schwarz-weiß, lediglich der Titel ist in gelb gehalten. Motiv und Gestaltung passen gut in die Zeit und zur Handlung, ohne aufdringlich zu sein.

‚Der dunkle Bote‘ ist bereits Band 3 der ‚August-Emmerich-Reihe‘ und ich habe die beiden Vorgängerbände nicht gelesen. Der Limes-Verlag gibt an, man könne alle Bände auch für sich lesen und ich kann das bestätigen. Obwohl die Nebenhandlung zum Verschwinden von Emmerichs Lebensgefährtin Luise aus den früheren Bänden fortgeführt wird, fehlt keine wichtige Information.

Bereits mit den nur zwei Seiten des ersten Kapitels hatte mich Alex Beer in ihre Geschichte gezogen. Relativ zügig nahm der Fall Fahrt auf. Eine wohlig-unangenehme Stimmung hüllte mich ein und sollte mich bis fast zum Ende begleiten. Die Autorin schafft es, mit wenigen, klug platzierten und zugleich undramatischen Worten und Sätzen durchgehend ein Klima drückender Kälte und Hoffnungslosigkeit zu zeichnen. 

Dabei erreicht die Beklemmung der Lesenden nie das Maß klassischer Noir fiction. Obwohl das Setting - eine von allgemeiner Kriminalität, Neid und Korruption geprägte Gesellschaft - dies zulassen würde, führt Alex Beer die Lesenden sehr geschickt an der Grenzlinie entlang. 

Die ‚Lichter der Hoffnung‘ verschwinden sozusagen nie ganz aus dem Blickfeld und bei aller Brutalität der Morde verliert sich Beer - für meinen Geschmack - nie zu sehr in blutigen Details. 

Bis hierhin also eine absolut gelungene Konstruktion. Leider muss ich jetzt einige Abstriche machen, wenn es um die Charaktere geht. August Emmerich, obwohl erfahrener und durchaus nicht unintelligenter Kriminalbeamter ‚verläuft‘ sich in Aktionen, die eher Anfängerniveau sind. Dies geschieht insbesondere in der Nebenhandlung seiner verschwundenen Lebensgefährtin Luise. Mehrere der dort agierenden Figuren: Emmerich selbst, Xaver Koch, sein Gegenspieler und Luise wirkten für mich überzeichnet. Emmerich in einer Form tapsiger Naivität, Xaver Koch als allwissender, diabolischer Erzschurke und bei Luise … ja, bei Luise wollte ich beständig aufstöhnen „Ach Luise!“. 

Ihre Handlungen (oder besser ‚Nicht-Handlungen‘) passen so gar nicht zum Bild einer dreifachen Mutter, die ihre Familie durch sechs Kriegs- und Nachkriegsjahre manövriert hat. Wie die Bösartigkeit Kochs, wirkte ihre Hilflosigkeit auf mich überzeichnet. 

Von der Nebenhandlung abgesehen, führt ‚Der dunkle Bote‘ die Lesenden zielsicher in die dunklen Abgründe der maladen Stadt Wien. Der Spannungsbogen wird mit großer Professionalität exakt gezogen. Nie hatte ich, auf den fast 400 Seiten des Buches, das Gefühl, den Kontakt zur Story zu verlieren oder durch langweilige Abschnitte ablenkbar zu werden. 

Alles in allem, sollte man meinen, also ein sehr empfehlenswertes Buch. Ja, fast. Denn das Ende, die Auflösung der Geschichte, weist einzelne Logik-Lücken auf. 

Der ‚Schlussstein‘, um es so zu nennen, das zentrale Element der Lösung, würde deutlich besser in einen Fantasy-Roman passen. Ob die Autorin dieses Element vielleicht eher als Allegorie verstanden wissen will, kann ich nicht beurteilen. Auch wenn ich fantastischen Elementen in Kriminalromanen nicht grundsätzlich abgeneigt bin, ließ mich dies etwas ratlos zurück. 

Jürgens Fazit:

Trotzdem noch einmal: Eine spannend erzählte, atmosphärisch dichte Story aus einer dunklen Zeit. Von den vorgenannten Kritikpunkten abgesehen, eine empfehlenswerte Lektüre. Ich vergebe

~*3 ( von 5 ) Sterne*~