Samstag, 12. Januar 2019

[Rezension] Troll - Michal Hvorecky




*Werbung / Rezensionsexemplar*

Troll von Michal Hvorecky

Umfang: 215 Seiten | Genre: Dystopie

Verlag: Tropen | Preis: 18,00 € 



Die europäische Gemeinschaft ist zerfallen und wurde durch die Festung Europa ersetzt. Ihr gegenüber steht das diktatorisch geführte Reich, in dessen Protektoraten ein ganzes Heer von Internettrollen die öffentliche Meinung lenkt. Einer von ihnen ist der namenlose Held dieser in einer allzu naheliegenden Zukunft angesiedelten Geschichte.

Gemeinsam mit seiner Verbündeten Johanna versucht er, das staatliche System der Fehlinformationen von innen heraus zu stören – und wird dabei selbst Opfer eines Shitstorms. Mit seiner rasanten, literarisch verdichteten Erzählung beweist Michal Hvorecky erneut, warum er der erfolgreichste Autor der Slowakei ist.

Meine Meinung:

Ein Buch wie ein Feuerwerk - "Troll" ist eine meisterhaft erzählte Zukunftsversion, welche sich auf ein Thema beschränkt, welches mir so noch nicht in einer Geschichte begegnet ist: Das Trolling. Nur ganz kurz eine Erklärung für diejenigen, die mit diesem Begriff so rein gar nichts anfangen können.

Als Troll wird eine Person bezeichnet, welche in Internetforen, Social Media Plattformen oder generell im Netz auf Beiträge oder Kommentare beschränkt, welche auf die emotionale Provokation anderer Diskussionsteilnehmer abzielt und die sich dadurch eine Reaktion ihres Gegenübers erhoffen. Simpel gesagt: Ärgern auf hohem Niveau mit falschen Fakten, irrsinnigen Behauptungen oder sogar manipulierten Bildern bzw. Videos.
Die Protestteilnehmer sprayen meine bekanntesten Nicks an die Hauswände. Peter. Martin. Jakub. Damian. Ester. Nina. Martina. Eva. Jozef. Keanu. Sarah. Achtzig Namen, und es werden weitere dazukommen.  
Mein wahrer Name ist ... Ich kann nicht ... Weiß nicht ... Ich heiße ... Ich komme nicht auf meinen Namen. Sie haben mir alles genommen. Ich bin ... der Troll.
Bis etwa zur Mitte des Romans bekommt der Leser einen Überblick über die aktuelle Situation in Osteuropa, während man dem namenlosen Ich-Erzähler und seiner Bekannten Johanna folgt, mit ihm sein Aufwachsen in diesem diktatorischen Land erlebt und seine Geschichte erfährt.

Der zweite Teil widmet sich seiner Arbeit als Troll, man bekommt einen Einblick hinter die Kulissen dieser Maschinerie und merkt langsam aber sicher den Abstieg des Protagonisten in Gefilde, in welche er sich nie vorwagen wollte.

Und diese mögliche Welt, die Michal Hovrecky hier aufbaut, hat es ziemlich in sich.

Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen Arm und Reich, nach dem Hybrid- und dem Informationskrieg ist Europa geteilt. Die Grenzen werden streng bewacht, niemand darf das Land betreten oder ausreisen. Es gibt Anführer-Vater und seinen Sohn, welche über ihr Volk mit unerbitterlicher Hand herrschen, Zensur in jeglicher Form betreiben und damit langsam aber sicher ihre Nation von innen heraus zerstören.

Auch ich und mein Bruder, wir Knirpse, sahen auf Schritt und Tritt, wie es mit der Stadt und dem ganzen Land bergab ging. Fast alles war verboten, und was nicht verboten war, war dann auch gleich Pflicht. Wie bei der Erörterung, die wir im Ausdrucksunterricht schreiben sollten: Wer ist deine Lieblingsfigur in der Geschichte? Und warum ausgerechnet Anführer-Vater?
Diese Passagen in der ersten Hälfte des Buches gefielen mir unheimlich gut, denn sie liefern die Grundlage, um den Ich-Erzähler und seine Entscheidungen zu verstehen - warum handelt er wie er es
eben tut, was treibt ihn an? Ebenso wie in einem sehr rasanten, aber nicht zu knapp bemessenen Schreibstil die Frage aufgeworfen wird: Was muss in einem Staat an Umbrüchen auf den einzelnen Bürger einwirken, um solch eine negativ geprägte, verzweifelte Gesellschaft zu schaffen?

All das fängt der Autor gekonnt ein, lässt dabei selten Fragen offen und erschafft eine bedrückende Stimmung, die mich den ganzen Roman lang gefangen hielt. Ich lasse mich gerne und mit viel Vergnügen auf solche Dystopien ein, denn sie werfen in mir viele Gedanken auf, beschäftigen  mich noch lange nach Beenden und zeigen mir mögliche Zukunftsrichtungen auf, die mich zum Schaudern bringen.

Die Grundthematik, das Trolling, erlebt man gemeinsam mit dem Ich-Erzähler, welcher ab der zweiten Hälfte beginnt, sich professionell damit zu befassen. Er schleust sich mit seiner Freundin in einer Firma ein, welche gezielt Menschen als Trolle einstellt und diese dafür bezahlt, das Internet mit Kommentaren, gefälschten Bildern oder bearbeiteten Videos in Aufruhr zu bringen.

Seine vordergründige Begeisterung für diese Arbeit, und das ist dem Leser schnell klar, dient einem ganz speziellen Zweck:

Er möchte zusammen mit Johanna das System der Trolle einstürzen lassen, will es von innen heraus boykottieren und zerstören - das ist jedoch leichter gesagt als getan und so verfolgt man seine verzweifelten Bemühungen, diesen Vorsatz in die Realität umzusetzen.
Wir begriffen langsam, warum das Trolling nicht aufgehalten werden konnte, weder von den einflussreichsten Politikern noch von den größten IT-Koryphäen oder den Betreibern der sozialen Netzwerke. Weil das nicht nur der Missbrauch von Technik war. Sondern eine Idee. 
Eine verzweifelte und fantastische Idee. Noch nie in der Geschichte war es vorgekommen, dass Kraft eine Idee besiegt hätte. Eine Idee ließe sich nur bezwingen, indem man an ihrer Stelle einen besseren, attraktiveren und annehmbareren Gedanken böte. Bloß welchen?
"Troll" hatte nur zu Ende hin ein paar Längen, die es in meinen Augen nicht gebraucht hätte, denn da wich das zügige Tempo einer gemächlichen Brise. Die Geschichte plätscherte für einige Kapitel ein wenig vor sich hin und verlor ihre dichte Atmosphäre durch unwichtige Nebenhandlungen, die sich mir nicht ganz erschlossen.

Dennoch bin ich schwer begeistert, überrascht von diesem durchschlagenden Debüt. 

Michal Hvorecky zeigt eine beängstigende Zukunftsversion unserer Welt, in der die Trolle die politische Macht schleichend übernehmen, den Menschen ihr Gedankengut und ihre Weltanschauung einpflanzen und damit ihr Tun und Denken geschickt lenken.

Wie schnell diese Meinungsmache auf das Gemüt der Bevölkerung schlagen kann und was daraus resultiert, kann jeder selbst in diesem Machwerk nachlesen - für mich ein wichtiges Buch, das ich garantiert noch öfter zur Hand nehmen werde und welches dem Leser vor Augen führt, was in unserer heutigen Zeit wichtig ist:

Das Denken niemals anderen überlassen, stets die Fakten selbst überprüfen und nicht jedem Glauben schenken, der seine Meinung im Internet laut kundtut ... wer weiß, vielleicht ist derjenige der nächste Troll, welcher solch eine Zukunft anstößt und DAS möchte ICH garantiert nicht erleben.

Was nützt es dem Menschen, wenn er Lesen und Schreiben gelernt hat, aber das Denken anderen überlässt? Ernst R. Hauschka

Mein Fazit:

"Troll" ist eine Buch, welches mich komplett überraschen und umhauen konnte. Ich wurde in eine düstere, dystopische Welt hineingezogen, aus der ich nur schwer wieder hinaus fand und welche mich gedanklich noch länger begleiten wird. Mit kleinen Ausnahmen eine lesenswerte, rasant erzählte und durchdachte Geschichte, die ich jedem ans Herz legen möchte.

Für die Fans von "Der Circle" von Dave Eggers und "Qualityland" von Marc Uwe Kling eine klare Empfehlung und für alle anderen, die sich das Denken nicht verbieten lassen wollen.

*~5 von 5 Sterne~*


Weitere Leseeindrücke findet ihr bei:

Kerstin von KeJasBlogbuch, ebenfalls eine 5 Sterne Rezension *KLICK*

Einen ganz lieben Gruß schicke ich nach Stuttgart zu den Kollegen von Klett Cotta bzw. ihrem Imprint dem Tropen Verlag und ein herzliches Dankeschön für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars - es war mir ein wahres Lesevergnügen!

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